Die französische Schriftstellerin Hélène Cixous stellte ihr Buch „Osnabrück“ im Friedenssaal des Rathauses vor

 

Osnabrück als Paradies der Kindheit

 

Osnabrück, 8. Mai 2017

 

Das Schreiben sei für sie eine Intervention gegen eine Welt, die in kleine Teile zerstört worden war, erzählt Hélène Cixous. Die französische Schriftstellerin und Feministin sagt von sich selbst, bereits im Alter von vier Jahren zum Schreiben gekommen zu sein. Verarbeitet hat die 79-Jährige in ihrem Oeuvre dabei unter anderem die Herkunft ihrer jüdischen Familie – und damit auch den Abschied der Mutter der Stadt ihrer Kindheit: Osnabrück. Eva Klein musste Anfang der 1930er Jahre emigrieren, um den Nationalsozialisten zu entkommen. Jetzt hat Hélène Cixous im Friedenssaal des Rathauses ihr Buch vorgestellt, das den Namen der Stadt als Titel trägt. Erschienen ist es in Frankreich bereits 1999. Die deutsche Übersetzung liegt jetzt vor. Finanziert wurde sie von der Friedel & Gisela Bohnenkamp-Stiftung.

Schweigen. Auch in ihrer Familie habe sich eine große Stille über die Zeit des Nationalsozialismus gelegt, sagt Hélène Cixous. Doch ihre Mutter habe ihr viel über ihre Herkunft erzählt, über ihre Kindheit in Osnabrück. Die Stadt musste Eva Klein im Alter von nur 19 Jahren plötzlich verlassen. „Das verlorene Paradies“ habe ihre Mutter die Stadt genannt. „Natürlich hat sie das getan. Es war der Ort, in dem sie ihre unschuldige Zeit als Kind verbracht hat“, betont Hélène Cixous. Früh habe sie versucht herauszufinden, wie sich ihre Mutter gefühlt haben musste. „Aber von Paris aus kannst du das nicht.“ So sei sie sehr froh, nach 2015 jetzt bereits zum zweiten Mal nach Osnabrück gekommen zu sein. Und was hat sie gefunden? „Viel Liebe“, sagt die Professorin für englische Literatur, die im Gespräch ansatzlos zwischen Französisch, Englisch und Deutsch wechselt.

Während der Lesung aber antwortet sie auf die Fragen von Andrea Grewe, Professorin für Romanistik an der Universität Osnabrück, auf Französisch und lässt die von ihr auf Französisch vorgetragenen Passagen aus ihrem Buch „Osnabrück“ von ihrer Übersetzerin Dr. Esther von der Osten ins Deutsche übertragen. Das Buch durchzieht eine stark assoziative Sprache. „Es geht um Familiengeschichte – es ist die Familie der Menschheit, um die es geht“, sagt Hélène Cixous und: „Osnabrück ist das Schüsselwort meiner Kindheit.“ Sie selbst kam am 5. Juni 1937 im algerischen Oran zur Welt und hat Osnabrück erst im April 2015 kennengelernt.

Hélène Cixous hat als eine der großen französischen Intellektuellen mit ihrem fiktionalen und essayistischen Werk den französischen Poststrukturalismus mitgeprägt. Sie gilt als eine der bedeutendsten Vordenkerinnen des französischen Feminismus. Cixous war Mitbegründerin der Reformuniversität Paris 8 und hat dort ab 1969 als Professorin für englische Literatur gelehrt. Bis heute ist sie Hausautorin am Théâtre du Soleil, Paris. Sie wurde mit zahlreichen Preisen und Ehrendoktoraten ausgezeichnet.

Einen ersten Eindruck von „Osnabrück“ hatten die Besucher des Diskussionsabends im Theater Osnabrück im April 2015 erhalten, zu dem unter dem Titel „Osnabrück ist das verlorene Paradies. Nur nicht für mich“ die Universität Osnabrück eingeladen hatte. Während des Besuchs hatte Dr. Sven Jürgensen, der Pressesprecher der Stadt Osnabrück, die Idee, das Buch vollständig übersetzen zu lassen. Mit der Bitte, die Übersetzung zu unterstützen, war er auf die Bohnenkamp-Stiftung zugegangen. Zudem hat die Bohnenkamp-Stiftung zudem die Übersetzung eines weiteren Buchs von Hélène Cixous finanziert, das Gespräche mit der französischen Schriftstellerin und Philosophin enthält. Die Erlebnisse und Eindrücke ihres ersten Besuchs in Osnabrück hat Hélène Cixous bereits in dem Buch „Gare d`Osnabrück à Jérusalem“ verarbeitet, das 2016 erschienen ist. Und auch der aktuelle Besuch soll in einem weiteren Buch Widerhall finden, kündigte Hélène Cixous am Ende der Lesung an.

Hélène Cixous: Osnabrück. Passagen-Verlag 2017, übersetzt von Esther von der Osten